Tradition erlebbar machen: der Schnelltriebwagenzug SVT 18-16
In den 1960er Jahren wollte die DDR beweisen, dass sie auf der Schiene sehr wohl mit dem westlichen Fortschritt mithalten konnte. Am Zeichenbrett wurde gezeichnet, Modelle wurden erstellt und anschließend, in den Werkhallen, hinter verschlossenen Türen, gewerkelt. Herausgekommen ist im Original ein Zugverband der Schnellverkehrstriebwagen der Deutschen Reichsbahn, eher bekannt unter den Namen „VT 18.16“, „Karlex“, „Vindobona“ oder „Neptun“. Überall wo der Zug plötzlich auftauchte, machten die Menschen richtige „Glotzaugen“. Beim Anblick staunten sie wahrhaftig „Bauklötze.“ Ein Bewundern ging durch die Menge. Die schönsten Städte in Europa waren sein Laufsteg. Wenn der Dieseltriebwagen laut brummend vorbeizog, gab es kaum jemanden, der sich nicht umgedreht und ihm nachgesehen hat. Und dabei sicherlich heimlich davon geträumt, gerade in diesem Moment in dem Zug der Superlative zu sitzen. Für den internationalen Verkehr gebaut, sorgte er schon überall für Furore. Der Zug war nicht nur in zahlreichen europäischen Ländern ein Botschafter der Deutschen Reichsbahn, sondern auch noch weiterhin danach im internationalen Verkehr unterwegs. Bis 2003. Ab dann überall in Ostdeutschland abgestellt, waren die Zugeinheiten teilweise willkommene Ziele von Graffiti Sprühern. Grünzeug wucherte und umschlungen die Züge. So verrotteten sie allmählich mehr und mehr auf dem Abstellgleis. Solange bis vom dem Schnelltriebwagen VT 18.16 kaum mehr als eine rostige Hülle übrig blieb.
Der Neustart
Anfang 2018 kamen Eisenbahn-Enthusiasten bei einem leckeren Frühstück auf eine glorreiche Idee: die Wiederbelebung dieser Eisenbahnlegende. Schon zu Lebzeiten waren die Schnelltriebwagen eine Ikone auf Schienen, die es unbedingt wert ist, der Nachwelt fahrbereit erhalten zu bleiben. Die Zugeinheiten sind heute mehr als nur Eisenbahnhistorie. Wahrhaftig gerade noch zum richtigen Zeitpunkt. „Viel zu schade zum Verschrotten. Es wäre besser die Tradition erneut zu beleben“, dachten sich eine Handvoll Eisenbahn-Liebhaber und retteten quasi in letzter Minute eine komplette Zugeinheit vor dem Schneidbrenner. Sie sagten sich: „Unser Ziel ist es, dieses prächtige Erbstück europäischer Bahngeschichte wieder allen Interessenten erlebbar zu machen!“
Besonders der internationale und europäische Aspekt des Zuges soll gemeinsam mit dem regionalen Blickwinkel verbunden werden. Mit europaweiten Einsätzen wird der Zug als „Botschafter für Mitteldeutschland“ unterwegs sein und so zur europäischen Verständigung beitragen. Der SVT Bauart Görlitz eignet sich hervorragend dafür. Bei einer Reichweite von knapp 1000 Kilometern ist er mit einer Reisegeschwindigkeit von bis zu 160 Kilometer pro Stunde unterwegs. Der Einsatz auf nahezu jeder Streckenklasse in Europa ist dank des verhältnismäßig geringen Eigengewichtes als auch der hervorragenden niedrigen Radsatzlast (Achslast) und des relativ kleinen Waggon-Kurvenradius gut möglich. Ein weiterer Pluspunkt dieses Zuges ist der Dieselantrieb. Und somit die Unabhängigkeit von elektrischem Fahrdraht. Dadurch stellen die vielen unterschiedlichen europäischen Bahnstromsysteme kein Hindernis dar. Das Befahren landschaftlich schöner und nicht elektrifizierter Nebenstrecken ist ohne große Komplikationen und Auflagen möglich. Einfach verlockend und reizvoll! Nicht wahr?
Wie zeitgemäß ist die fahrende Legende?
Doch sind Reaktivierung und Betrieb eines über fünfzig Jahre alten diesel-hydrau-lischen Schnelltriebzuges unter ökologischem Gesichtspunkt heute überhaupt noch zu vertreten? Gerade das System Rad/Schiene ist die ökologischste und nachhaltigste Fortbewegung unserer Zeit. Die beiden Motorwagen des SVT sind sozusagen die Heimat von 2000 Pferden – ohne Heu und Stroh – aber dafür mit Dieselöl. Der Leistungsbedarf ist pro Person nur 10 PS. Etwas mehr als ein Motorroller. Und damit versorgt der Zug nicht nur den elektrischen Eigenbedarf, sondern erreicht auch noch die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Der Verbrauch von rund 400 Liter pro 100 km hört sich zunächst sehr viel an. Dennoch ist er in Wirklichkeit sehr gering. Bei einem Platzangebot im fünfteiligen Zug von rund 200 Sitzplätzen sind es rund 3 Cent pro Person/ Kilometer. So günstig fährst du ganz bestimmt nicht mit deinem Auto.
Die Gefahr, zu hören, dass die Wiederbelebung der Eisenbahnlegende nicht funktionieren wird, gleich als Spinner abgestempelt zu werden und so den Mut zu verlieren, war groß. Doch Mario Lieb und ein paar Mitstreiter krempelten die Hemdsärmel hoch und sagten sich: „Auf geht’s, packen wir es an. Das schaffen wir!“ Das war der Startschuss zu einem wirklich genialen neuzeitlichen Projekt. Für die Umsetzung des Projekts braucht es den richtigen Zeitpunkt, ausreichend Unterstützer, ehrenamtlicher Helfer und das unbedingte Interesse aller Beteiligten. All das ist nun vorhanden. Gesagt, getan! Bald wird der legendäre Schnelltriebwagen die Tradition auf Schienen wieder fortsetzen. Aber bis dahin dauert es noch ein Weilchen.
…mit Neptun, Vindobona, Karlex oder Berlinaren ging es einst nach Kopenhagen, Wien, Karlovy Vary und Malmö …
Viele Jahre lang waren die acht Triebzüge das Aushängeschild der damaligen Reichsbahn. Sie lösten in den 70er Jahren die in den 1930-er Jahren von der DRG beschafften Schnelltriebwagen der Bauart „Köln“ ab. International kamen die SVT u.a. auf Verbindungen nach Skandinavien, Österreich, Ungarn oder in die Tschechoslowakei zum Einsatz. Wenn wieder einmal ein SVT Dieseltriebwagen vorbeifuhr, erfüllte die Sehnsucht so manchen DDR-Bürger. Denn die Ziele waren für viele damals unerreichbar. Bei den Bürgern bekannt waren besonders die Strecken
Erstmals auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1963 dem Publikum vorgestellt, besticht die hochwertige Ausstattung den „Stolz der Deutschen Reichsbahn“. Es wurde peinlich genau auf den hervorragenden Zustand des Zuges geachtet. Auch die Bewirtung im Speisewagen entsprach, entgegen den lokalen Strecken, internationalen Standards. Man wollte ja der westlichen Welt Paroli bieten und zeigen, wozu der Osten in der Lage war. Eben mehr sein als schein.
Als sich dann der Einsatz lokbespannter Züge als neue Innovation im internationalen Fernverkehr erwies, rollten die SVT „Bauart Görlitz“ langsam dem Abstellgleis entgegen. Ende September 1981 fiel auch die letzte Verbindung nach Karlsbad für die Triebzüge dem Rotstift zum Opfer. Dem einzigsten „Aushängeschild“ blieben dann nur noch Inlandsverbindungen, überwiegend zwischen Berlin und Leipzig als auch nach Bautzen, vorbehalten. Aber auch damit war nach weiteren vier Jahren Schluss. Bereits ab 1983 nutzte die damalige Deutsche Reichsbahn den vorletzten Triebwagen für Sonderfahrten, die nach der Grenzöffnung in den 90er Jahren immer beliebter wurden. So entschied sich die Bahn – diesmal die DB – erneut zu einer kostspieligen Hauptuntersuchung (TÜV), durchgeführt von September 1994 bis April 1995. Nun blieb der jetzt sechsteilige Zug weitere acht Jahre als Museumszug im Einsatz. Aber im April 2003 rollte auch die letzte Einheit endgültig auf das Abstellgleis. Keiner wollte mehr für die hohen Instandhaltungs- und Hauptuntersuchungskosten aufkommen. Aber das Interesse an dieser Zuglegende und der damit verbundene Wunsch nach Wiederinbetriebnahme ist nicht nur im Kreise von Eisenbahn-Liebhabern, sondern auch bei dem breiten Publikum vorhanden. Stets herrschte großer Andrang bei öffentlichen Publikumstagen des nicht mehr betriebsfähigen Zuges.
Schon bald wird der Zug wieder rollen
Alle am Projekt Beteiligten wünschen sich nichts sehnlicher als den ersten erfolgreichen Hauptuntersuchungs-Abschluss in 2024 herbei. Mit vereinten Kräften wird daran gearbeitet.
Technische Daten
Halter der Fahrzeuge
SVT Görlitz gGmbH
EU-Halterkennzeichen
D-SVTG
Baureihenbezeichnung
VT 18.16
abgeleitet von Antriebsleistung (insgesamt)
18-mal 100 PS plus Höchstgeschwindigkeit 16-mal 10 km/h
Fahrbereit
kleinste fahrbereite Zugzusammenstellung: vierteilig
Gesamtlänge
vierteilig: 98,60 m
fünfteilig: 121,58 m
sechsteilig: 145,10 m
Gesamtgewicht
vierteilig: 214,4 t
fünfteilig: 255,2 t
sechsteilig: 296,0 t
Motor
12-Zylinder-Dieselmotor, 12 KVD 18/21
Motoren-Hersteller
VEB Motorenwerk Johannisthal
Motorleistung
2x 1000 PS
Antrieb
dieselhydraulisch
Fahrmotorenleistung
2x 900 PS
Kraftübertragung
mittels eines Strömungsgetriebes
Getriebetyp auf Treibachsen
Dreiwandlerströmungsgetriebe L 306 RT,
Getriebe-Hersteller
Voith, St. Pölten (Österreich)
Höchstgeschwindigkeit
160 km/h
Kraftstoffverbrauch
400 Liter auf 100 km
Sitzplätze
vierteilig 134
fünfteilig 206
sechsteilig 278
Restaurantwaggon 23
Zugheizung
Luft/Wasser
Baujahre
1963 und 1965–1968
Abstellung aller noch vorhandenen Einheiten
April 2003