Glacier Express Erlebnis : Zug plötzlich vom Berg verschluckt

Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Für ausgiebige Erwartungen bleibt allerdings nicht viel Zeit, die Sonne scheint in mein Zimmer. Waaasss…schon so spät! Oh je, ich hab verschlafen! Raus aus den Federn.

Auf das leckere Frühstück im Hotel muss ich heute wohl verzichten. Ich eile zum Bahnhof. Zwischendurch noch einen letzten Blick auf das majästätische Matterhorn im gleißenden Sonnenlicht – übrigens der meistfotografiertes Berg der Schweiz. Ehrfurchtsvoll nehme Abschied und laufe zum Bahnsteig.

Am Bahnhof in Zermatt
Gleis 3: Die Waggons des Glacier-Express stehen bereit. Emsiges Treiben: Passagiere steigen ein, hupend bahnt sich ein Elektrowagen, beladen mit Getränkekisten, Bierfässern, Salate, Brote, Fleisch und vielen anderen Leckereien für die hungrigen Gäste im Zug, den Weg zum Speisewagen. Schließlich dauert die Reise nach St.Moritz knapp 8 Stunden. Durch Lok- und Waggonwechsel war es früher rund 3 Stunden länger. Denn bis 1942 verkehrte die FO noch im Dampfbetrieb.

Die Bahnhofsuhr zeigt 09.36 Uhr. Ich habe doch noch ein wenig Zeit, bin wohl zu schnell gelaufen. Doch da kommt aber schon die rote Lok an den Bahnsteig heran gerollt, um sich sanft an die Spitze des Schnellzuges „Glacier-Express“ zu setzen. Ihre drei Stirnlaternen beleben das Morgengrauen. Ein Rangierer steht bereit und kuppelt gekonnt Waggons und Lok zusammen.

Den ganzen Tag im Panorama-Zug
1. Klasse, man gönnt sich ja sonst nichts. Ich plumse in den bequemen Sitz und bin überraschend über die luxuriöse Ausstattung mit der weit ins Dach reichende Panorama-Verglasung. Die Flügel des Ausfahrtsignals sind schon nach oben geklappt, der Conducteur schließt die Türen und beobachtet den Bahnsteig entlang der Wagenschlange genauestens. Pünktlich um 09.52 Uhr:

Die Bahnhofaufsicht erteilt Abfahrauftrag…der langsamste Schnellzug der Welt – immerhin 35 km/h schnell – setzt sich in Bewegung. Auf „schmaler Spur“ geht es von Zermatt nach St.Moritz. Hier grüßt die Welt der Schönen und Reichen. Gemeinsam mit vielen anderen Gästen lege ich insgesamt 289 km zurück, fahre durch 91 Tunnel und über 291 Brücken. Das heißt, der Weg besteht fast ausschließlich aus Brücken, sozusagen eine Brücke pro Kilometer. Vorbei an Täsch und St. Niklaus rollen wir talwärts ins Rhonetal.

Nur „Störenfriede“ beim Nase plattdrücken im Zug
In Brig steigt eine Gruppe Asiaten ein. Was für eine Hektik und was für ein Sprachgewirr. Kopflos laufen sie im Zug hin und her, setzen sich einfach auf reservierte Plätze, bis ihr Reiseleiter für Ordnung sorgt. Ruhe kehrt ein. Ich widme mich wieder meiner Lieblingsbeschäftigung zu. Staunen, schauen und begeistert sein. Atemberaubende Schluchten und tiefe Täler, schimmernde Gletscher und schwindelerregende schnee- bedeckte Berggipfel, wie das Matterhorn, der Dom und der Piz Bernina, die mehr als 4.000 m hoch aufragen, begleiten mich durch den Tag. Glitzernde blaue Seen und rauschende glasklare Bäche, die kilometerlange Schluchten formen, bunte Blumenwiesen und dunkle Wälder, malerische Dörfer und pulsierende Städtchen. All das wechselt sich während der gesamten Reise ab. Schon wieder ein „Störenfried“! „Alli Billette bitte“,….. na klar…kein Problem. Wo ist meine Fahrkarte? Oh je! In der Tasche, im Koffer, hier im Rucksack, phuuuhhh – bitte schön! Dass mir der Schaffner noch eine schöne Reise wünscht, höre ich schon gar nicht mehr, ich drücke schon meine Nase wieder an der Scheibe platt. Es geht hinauf in die urtümliche Goms. Das Ziel ist der Weg.

Rechts und links sich auftürmende Berglandschaft.
Zum Greifen nahe. Die Schweiz sollte schon wegen majestätischen Bergwelt einen Preis bekommen: Mein Votum bis Fiesch fällt eindeutig so aus. Wie wird mein Votum am Ende des heutigen Tags sein?

Wie aus dem Nichts ist es auf einmal um den Glacier-Express her dunkel. Der Zug plötzlich von einem Berg verschluckt. Die Tunnels sind eine Meisterleistung damaliger Ingenieure, extra für uns, erklärte mir mein Sitznachbar, übrigens ein Eidgenosse aus Andermatt.  Sie garantieren heute einen ganzjährlichen Zugbetrieb. Ich frage mich, wieso fährt er im Glacier-Express,  Die Einheimischen fahren doch lieber mit dem Regionalzug., um so den Zuschlag zu sparen. Erst nach knapp 20 Minuten gibt der Berg seine „Beute“ wieder frei.

Warum gibt es so viele Kehrtunnel, so frage ich mich, so viele braucht man doch nicht! Vom mittlerweile ins Abteil kommenden Schaffner werde ich eines Besseren belehrt. Ich erfahre, dass die Kehrtunnels extra für die Gäste gebaut wurden, die von der traumhaften Landschaft nicht genug bekommen können und den Ausblick nochmals genießen wollen. So wie ich! Soll ich das wirklich glauben? Aber nein!

Die Kehrtunnel wirken wie sich öffnende Klappen in die Natur. Im Inneren schraubt sich der Zug in einem engen Radius langsam in die Höhe, um später über eine Brücke die vorher befahrene Strecke zu überqueren, und überwindet so die notwendigen Höhenmeter auf der Strecke.

Wahrhaftig doch ein Schnellzug
Der Glacier Express ist doch wahrhaftig ein Schnellzug. Aber nur im 15,38 km Furka-Basistunnel. Hier fährt der Zug mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h durch. Aber warum reden die Schweizer immer von einem Basistunnel? Vor allem dann, wenn es doch schon einen älteren Tunnel gibt. Ich wurde von einem Eidgenossen aufgeklärt. Basis bedeutet nicht das Baujahr eines Tunnels, sagt er. Um die Tunnels besser auseinander zu halten, nennen die Schweizer den Tunnel, der näher an der Basis (Erdmittelpunkt) liegt, also Basis-Tunnel. Und meistens sind diese Tunnels auch länger. Eben der Berg ist unten einfach breiter als oben.

Warum heißt der Zug „Glacier-Express“?
Ich erfahre auch, warum der Zug „Glacier-Express“ heißt. Bis 1982 führte die Strecke über den Furkapass (2429 m ü. M.) Oben angekommen, hatte man einen herrlichen Blick auf den Rhonegletscher, der dem Zug den Namen gab (französisch: Gletscher = glacier). Erst der Furkatunnel ermöglicht einen ganzjährigen Zugverkehr. Der Glacier-Express ist einer der wenigen Züge, der Sommerträume und Wintermärchen wahr werden lässt. Er schlängelt sich fast das ganze Jahr über durch die faszinierenden Landschaften der Schweiz. Die alte 17 km lange Bergstrecke ist durch den Einsatz vieler Eisenbahn-Enthusiasten im Sommer heute wieder befahrbar und zwar ganz nostalgisch mit Dampfbetrieb.

Das einzige richtige Arbeitstier heute ist die E-Lok. Vier große An- und Abstiege zwischen alpinen Regionen und dem Rhein-bzw. Rhonetal müssen überwunden werden. Ich stelle mir vor, wie es früher war. Wie der Heizer mächtig am Schwitzen kam, um der Lok die notwendige Kraft zu geben. Die Fahrt ist über und über mit Höhepunkten gespickt!

Leckere Spezialitäten vom Zugkoch
Vom vielen Staunen bekommt man schließlich Hunger. Wir haben gerade den Bahnhof Andermatt verlassen, ich begebe mich in die Mitte des Zuges, zum Servicewagen und bin überwältigt von der Vielfalt der Speisekarte. Schweizer Spezialitäten, eine Freude für den Gaumen: duftende Heißgetränke, prickelnder Champagner, erfrischende Cocktails. Für den kleinen Hunger kann ich einen der verschiedenen wohlschmeckenden Tagesteller wählen, für den großen Hunger bekomme ich ein üppiges 3-Gang-Menü, auf Wunsch auch am Platz im Panoramawagen serviert.

Als Vorspeise gibt es Churer Röteli, eine regionale Leckerei. Er ist eine der ältesten Bündner Spezialitäten. Die nette Stewardess serviert mir heute eine „Berner Platte“ wünscht mir einen guten Appetit.. Es ist ein traditionelles und üppiges Fleischgericht aus dem Berner Oberland, denn die Almbauern hatten großen Hunger nach getaner Arbeit. Wie gebannt genieße ich wieder die fabelhafte Aussicht, die mir das Mittagessen schwer verdauen lässt. Schon fast vergesse ich, wie lecker Bauchspeck, Rippli, Schüfeli, Gnagi, Zungenwurst und Schweineohren oder -schwänzen auf meinem Teller schmecken. Zum Nachtisch bringt mir der Koch selbst noch ein Stück Zermatter Baumnusstorte. Hhhmmmm…lecker.

Dank der großzügigen Panoramafenster sitze ich wie mitten in der freien Natur.
Die Schweiz bietet eine Vielzahl von Landschaftsbildern, die in Europa so nicht zu finden sind. Die abwechslungsreiche Bergwelt mit ihrer unberührten Wildnis, den traumhaften Tälern und den imposanten Gebirgs- und Wasserlandschaften, die sich zu reinem harmonischen Ganzen vereinigt, sauge und atme ich förmlich ein.

Die Excellence Class – Komfort pur
Mir fällt ein Prospekt in die Hände. Ab Sommer diesen Jahres soll der Zug noch luxuriöser werden. Mit der „Excellence Class“ garantieren die Werber die angenehmste und eindrucksvollste Art und Weise der Reise zwischen Zermatt und St. Moritz. Noch komfortabler! Getränke und Essen inklusiv, 20 bequeme Lounge-Sitze aus hochwertigem Leder, Tea Time mit Häppchen und vieles mehr. Rudi Carell hat schon damals auch gesungen: „Lass Dich überraschen!“ Ich bin gespannt!

Berg- und Talfahrt
Plötzlich sehe ich einen Leuchtturm. Hääähhh! Halluzinationen? Eine Fata Morgana in den Bergen? Nein! Wahrhaftig ein echter Leuchtturm. Aber was macht ein Leuchtturm hier mitten in den Schweizer Bergen. Mitten auf dem Oberalp-Pass. Gefragt, geantwortet! Er ist eine Touristenattraktion, der einzigste in den Alpen und mit 2044 m.M. auch der höchstgelegenste Leuchtturm der Welt. Tagsüber ist das rote Feuer in Betrieb. Als Abbild seines großen Bruders symbolisiert er hier die Quelle. Den Anfang des Rheins. Das Original steht in Hoek van Holland. Genau dort, wo der Fluss dann in die Nordsee mündet. Der Rhein hat zwei Quellflüsse, den Vorderrhein und den Hinterrhein. Beide treffen wenige Kilometer vor Chur aufeinander und fließen dann gemeinsam bis zur Mündung. Am Oberalp-Pass ist der höchste Punkt der Reise mit 2033 ü.m.M. erreicht. Danach geht es rasant bergab nach Chur, der ältesten Stadt der Schweiz. Von weitem sichtbar thront hoch über der Altstadt der Bischöfliche Hof mit der Kathedrale. Die bedeutende Bischofsstadt am Rhein hat auch eine Menge zu erzählen, doch das ist ein anderes Abenteuer. Bevor es kurz vor St. Moritz wieder bergauf geht, schlängelt sich der Zug durch die Rheinschlucht, den Grand Canyon der Schweiz. Im Albulatal fährt das Zug über die mächtigen Bögen des berühmten Landwasser-Viadukts, um kurze Zeit später wieder im Tunnel zu verschwinden.

Jetzt bin ich in St.Moritz angekommen. Sagenhaft das Berninahaus
Pünktlich auf die Minute, um 17.40 Uhr rollt der Zug im Bahnhof St.Moritz ein. Nach den Schweizer Bahnen kann man seine Uhr stellen. Zu meinem Bett für die heutige Nacht bringt mich der Regionalzug. Hoch oben im Gebirge, ganz nahe bei Pontresina und den beiden bekanntesten Gipfeln des Engadins – Piz Palü und Piz Bernina – übernachte ich auf 2.046 Meter im Gasthaus Berninahaus. Schon seit 1515 werden hier Gäste mit echt uriger Schwyzer Gastlichkeit verwöhnt! Übrigens, das Hotel hat einen eigenen Bahnhof. Wer hier aussteigt, der will sicherlich zum Gasthaus. Weit und breit ist kein anderes Haus. Ruhe pur für die gestresste Seele!

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